Grüner Tee, rote Betel.

Kinderplastiktisch

Ich sitze auf Kinderplastikstühlen vor einem Kinderplastiktisch und trinke grünen Tee aus winzigen Tassen. Das Mobiliar der Straßenteestube degradiert meine Statur geradezu ins Lächerliche als ich versuche es mir darauf bequem zu machen. Zusammengeklappt wie ein Schweizer Taschenmesser drehe ich eine Zigarette und der Burmese, in ähnlicher Pose am Nebentischlein verharrend, reicht mir zur Begrüßung mit stummem Nicken sein Tischfeuerzeug – eigentlich ein ganz normales Billigmodell mit einem, in eine kleine Dose gegossenen, Betonfuß. Als ich es ihm zurück gebe fragt er, wie lange ich schon in Burma bin. „This is my first day“ sage ich. Als er auf weiteres Nachfragen erfährt, dass ich aus Deutschland bin, erwidert er emotionslos anerkennend: „Aahhh, Germany! Good country!“

Yangon
Die Mittagssonne scheint schräg unter das weitausladende, halb verrottete Vordach des alten Kolonialgebäudes auf den ausgetretenen Gehsteig, durchbrochen nur von den lichten Schatten der Bäume am Straßenrand. Die breite Allee, das Licht, die Atmosphäre erinnern an den Prenzlauer Berg im Sommer. Doch der Eindruck bleibt flüchtig: es ist doch alles zu bunt, zu wirr, zu fremd…
Den Kopf auf Schritthöhe der Passanten, bleibt mein Blick zunächst ebenso niedrig. Ich sehe unzählige, spreizfüßige Flip-Flop-Träger und Männer in den traditionellen, karierten Wickelröcken, an deren Bund auch gerne mal – in Ermangelung von Hosentaschen – Schlüssel und Handys baumeln. Ob sie ihr Geld wohl in die Unterhose stecken? Ein junger Mann schält sich aus dem Trubel und erübrigt die Frage: lässig trägt er ein etwa 20 cm hohes Geldbündel – oder eher Paket – ins jadegrün gestrichene Juwelengeschäft nebenan. Auf so ’ne dicke Hose kann er wohl nicht machen…

Halb steif wechsele ich meine Position und beobachte den dichten aber entspannt fließenden Verkehr der Seitenstraße. Ein uralter, überfüllter Linienbus hält vor mir. Irritiert beobachte ich, wie die Fahrgäste auf der mir abgewandten Seite aus dem roten Vehikel quellen. Es dauert eine Minute bis mir die Situation klar wird: Der Bus ist ein Rechtslenker – im Rechtsverkehr! Die Türen sind also auf der straßenzugewandten Seite und die Fahrgäste stolpern notgedrungen zwischen die Fahrbahnen. Einige weitere Minuten später erkenne ich: das Paradoxon gilt für nahezu alle Autos hier.
Als der rasselnde Bus abfährt, mischt sich leises Vogelgezwitscher in die Geräuschkulisse. Verwundert schaue ich nach oben und entdecke ein gutes Dutzend unterschiedlicher Vogelhäuser, mit sicherlich doppelt so vielen Bewohnern, unter dem Betonvordach. Doch die Idylle währt nur kurz: In der Ferne fangen Muezzine an ihre Botschaft über die Dächer der Stadt zu schreien. Eine streunende Katze zwei Häuser weiter steigt lautstark in die Kakophonie mit ein, während ein orange-gewandeter Mönch emotionslos 1000 Kyat vom Teehausbetreiber einstreicht.

Was ist das für ein Land der Gegensätze, wundere ich mich. Was ist das für ein Land; in dem Viagra-Pillen neben Betelnüssen an Straßenständen verkauft werden; in dem moderne, 20-stöckige Hochhäuser mit Bambusgerüsten gebaut werden; in dem es keine Geldautomaten gibt, dafür der Schwarzmarktpreis für Dollars gut 30% höher als der offizielle Kurs ist? Was ist das für ein Land, in dem die Menschen seit Jahrzehnten unterdrückt werden und doch zufriedener, ausgeglichener und fröhlicher wirken als die meisten Deutschen.

Mein Tischnachbar erkennt scheinbar meine Verwirrung und die Fragen in meinen Augen, denn während er mir ein zweites Mal Feuer gibt, sagt er: „In Burma it’s easier, when you don’t try to find answers to all your questions.“ Ich rauche aus und bezahle. Im Gehen frage ich mich, ob seine Weisheit nicht mein ganzes Leben erleichtern kann.
Der Fahrer eines parkenden Autos öffnet die Tür und rotzt mir als Antwort seinen roten Betelsaft vor die Füße.

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