Die spinnen, die Reisechinesen!
„Eine Zugfahrt, die ist lustig. Eine Zugfahrt, die ist schön …“ …denn da kann man mit nem Grinsen viele Reisechinesen sehn.
China ist riesig und China ist vor allem eines: anders. Und wer, wie wir, nicht fliegen möchte, nimmt den Zug. Das mache ich in Deutschland auch, doch im Land der Mitte ist das nicht ganz einfach. Chinesische Züge vs. Deutsche Bahn – ein Vergleich.
Wer geht in Deutschland noch an den Ticketschalter? Auf der Internetseite der Bahn kann man aus über 14 Sprachen wählen. Tickets gibt´s dann zum ausdrucken, per MMS oder einfach am Automaten. Als Touristin im Land des Lächelns verstehe ich vom Bahnschalterchinesisch kein Wort. Abhilfe verschafft hier eine wunderbare Webseite. Ich gebe ein, wohin ich will und weil die meisten Zugfahrten in China recht lange dauern (unsere längste war 72h), darf ich noch zwischen Sitzplatz, Hard- oder Softsleeper wählen. Da bitteschön: Die Webseite spuckt mir eine chinesische Übersetzung meiner Wünsche aus, und das auch noch sehr höflich.
Es lebe das Informationszeitalter! Mit diesem Bild laufe ich dann zum Ticketverkauf und schiebe mein Handy durch das Schalterfenster. Wer braucht schon Konversation? Aber bitte keine Rückfragen! Denn Chinesisch ist nicht im Repertiore, schon gar nicht so authentisch wie das vom Reisechinesen in der Ticket-Schlange vor uns.
Wenn mein Zug in Deutschland um 13:24 Uhr abfahren soll und ich stehe um 13:15 Uhr mit meinem Rucksack am Bahnsteig, komme ich mir wie ein doofer Streber vor. Die Bahn bestraft mich dafür, indem ich eine halbe Stunde warte. Chinesische Bahnhöfe gleichen eher unseren Flughäfen. Und wer nicht mindestens eine Stunde vor geplanter Abfahrt seine Wartehalle sucht und sich sicherheitshalber schon einmal irgendwo (und oftmals auch wahllos) anstellt, der passt nicht hier her. Unser Gepäck wird zum neunten Mal an diesem Tag geröntgt, unsere Pässe durchblättert und sie haben Sebastian´s liebstes Souvenir beschlagnahmt: das, wirklich harmlose, Buschmesser aus Papua Neuguinea. Das ist gemein, denn viel gefährlicher als die Machete sind sie nämlich selbst, die Reisechinesen. Durch die riesige Halle scheppern Durchsagen. Plötzlich ist Aufbruchstimmung. Alles bewegt sich hektisch und vor einem der Ausgänge bildet sich das, was man in China immer und überall sieht: eine Warteschlange. Hier den Überblick zu bewahren ist äußerst schwierig. Alle drängeln, schieben und rempeln sich an. Ob diese Durchsage auch was mit unserem Zug zu tun hat? Vielleicht sollten wir mal jemandem unser Ticket zeigen.
Beim Zugfahren in Deutschland fallen mir auf Anhieb nur zwei Dinge ein, die man beachten sollte: Andere erst aussteigen lassen und Älteren den Platz überlassen. Nichts leichter als das! In China hingegen erinnert mich schon der Gang zum Bahnsteig an die Apple-Store-Öffnung am ersten Verkaufstag des neuen iPhones. Die rennen! Die rennen zum Zug obwohl noch massig Zeit ist!! Was die Sache gemeingefährlich macht, ist des Reisechinesen liebstes Utensil; der Rollkoffer. Ich weiche Rollkoffern aus, falle über Rollkoffer, bekomme Rollkoffer in die Fersen gefahren und werde von Rollkoffern auf andere Rollkoffer geschoben. Dementsprechend zerrupft komme ich dann am Bahnsteig an, wo der Zug schon wartet. Rein dürfen wir nicht, denn sie machen noch sauber. So passiert, was passieren muss: Sie stellen sich in einer Schlange vor ihrem jeweiligen Abteil auf. Ich rebelliere. Ich habe schon auf der Rolltreppe rebelliert und mich nicht festgehalten und nun rebelliere ich wieder und stelle mich nicht ans Ende dieser Schlange. Man schaut mich zwar verwirrt an aber irgendwo geht es ja zu weit. Als alle drin sind, tausche ich mein Ticket gegen eine Plastikkarte und steige ein.
Drinnen: Mief und Hitze. Die Klimaanlage ist ausgefallen. Das kann schon auch in Deutschland passieren aber da gibt es keine dreistöckigen Betten. In China sind einfach andere Dinge normal. Es ist normal, dass sich Leute auf dein Bett setzen um schmatzend Hühnerfüße aus Plastikverpackungen zu snacken. Es ist normal, dass man kleine Kinder genau dort in den Gang kacken lässt, wo gleich der Essenswagen durchfährt. Doch wenn man wie wir schon eine Weile in der Welt unterwegs ist, dann lernt man irgendwie, sich diesen Sachen hinzugeben. Ich will und muss nicht alles verstehen. Ich verjage den letzten Matratzengast und lege mich ab. Die Betten sind zwar ein wenig zu kurz aber sauber und so kann ich mich entspannen. Das mag auch an der Zugmukke liegen. Das haben sie gut gemacht, die Chinesen. Die Musik im Zug beruhigt irgendwie und und untermalt den verträumt verschleierten Blick aus dem Fenster.
Fazit: China ist anders. Die Pünktlichkeit ist anders: Wir kommen auch nach drei Tagen Fahrt mit maximal 5 Minuten Verspätung an. Die Hygiene ist anders: Wie die Kacke an die Klodecke kommt, will ich gar nicht wissen. Die Menschen sind anders: Privatsphäre? Fehlanzeige! Die Nudelsuppe am Zielort entschädigt dann aber doch einiges. Die können sie nämlich richtig gut, muss man ihnen lassen. Ich persönlich muss nicht noch einmal hin aber schön, das mit Überzeugung sagen zu können.
Ein Soundschmankerl gibt´s zum Schluss noch. Dafür habe ich übrigens meine Gesundheit auf´s Spiel gesetzt. Denn dieses Geräusch gibt es ganz besonders deutlich auf dem Zugklo. Aber wahrscheinlich ist es weltweit das Beruhigendste, was man seinen Ohren beim Zugfahren bieten kann. Voller Einsatz also für euch, Fernhörer. Meditation pur…!
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